İmran Ayata im Interview

İmran Ayata ist DJ, Campaigner – und Autor. Gerade frisch erschienen ist sein neuester Roman »Ruhm und Ruin«, in dem er Menschen rund um einen deutsch-türkischen Fußballverein darstellt. Braucht der überflutete Markt ein Buch, das vom allgegenwärtigen Fußball handelt? Ja, das braucht er, zumindest wenn es so klingt wie bei İmran Ayata … Ich sprach mit dem Wahlberliner über seine Veröffentlichung, die Intention dahinter und etwas Politik.

İmran Ayata 2»Fußball ist unser Leben« heißt der Titel eines Films. Ob man nun mit dem Runden ins Eckige etwas anfangen kann, dieses »unser Leben« ist, ist zweitrangig. Fakt ist, dass man Fußball auch aufgrund seiner Omnipräsenz nicht ausweichen kann. In meiner Rezension habe ich das zwar schon verdeutlicht, möchte aber gerne von dir wissen, warum »Ruhm und Ruin« auch für Leser ist, die nichts mit diesem Sport anfangen können.

Mein Roman ist eine gesellschaftliche Momentaufnahme. Mir war sofort klar, dass sich Rezensenten und Buchhändler die Frage stellen würden, was für ein Roman »Ruhm und Ruin« ist. Daraus abgeleitet kommt die Vermutung hinzu, Fußballfans würden sich nicht für Literatur interessieren und Literaturinteressierte nicht für Fußball. Ich habe keine andere Chance, als diese Fragen zu ignorieren. Wenn ich als Autor diese Fragestellungen beim Schreiben im Blick hätte, bräuchte ich erst gar nicht auf dem Platz auflaufen.

Immer wieder begegnet man in deinem Roman Stereotypen. Viele Figuren sind überspitzt: Guiseppe der Italiener, der liebend gerne den ganzen Tag Verführen möchte. Zuschauer auf dem Dorf, die dem deutsch-türkischen Kiezclub mit Hitlergruß begegnen. Ein ehemaliger Bundesligatrainer, der seinen Mittelstürmer Neger ruft. Was sind die Gründe für derartige Darstellungen?

Ich finde nicht, dass die Figuren überspitzt sind. Das gilt nur für wenige der Protagonisten. Dort, wo es zu überspitzen Darstellungen kommt, handelt sich um ein stilistisches Mittel, es finden sich ganz viele andere. Was die Protagonisten viel mehr verbindet, ist ihr sehr unterschiedlicher Bezug zu einem Verein. Den Verein als Mikrokosmos finde ich spannend. Ach, es gibt noch ein anderes verbindendes Element – nämlich das der Lüge und Selbstlüge. Alle lügen, irgendwie.

Trotz aller Probleme in und um den Verein wie die Außendarstellung, die Grabenkämpfe, die Finanzen und die Engstirnigkeit halten fast alle Protagonisten dem Club die Treue. Warum ist das so? Warum können sie nicht einfach einen Schlussstrich ziehen?

Der Verein ist für sie in gewisser Weise eine Ersatzfamilie – mit all dem Widersprüchen und Versprechen. Man kann bei vielen nicht mal sagen, dass diese Familie freiwillig ausgesucht ist. Und weil sie in Anhängigkeit zu dem Verein leben, manche sogar für ihn leben, können sie nicht einfach aus und vorbei sagen. Der Verein lebt weiter. Und dass in einem Verein Auseinandersetzungen stattfinden, macht es auch literarisch interessant.

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Es geht in »Ruhm und Ruin« viel um Politik und die Gesellschaft, darunter Homophobie, Rassismus, Feminismus und den Konflikt zwischen Türken und Kurden. Inwiefern eignete sich dafür ein Fußball-Verein aus einem Problembezirk? Gehören Politik und Sport überhaupt zusammen? Sollten sie zusammengehören?

Ich kann mir das Leben gar nicht nicht-politisch denken. Und Sport auch nicht. Damit meine ich nicht nur den organisierten und professionalisierten Sport, der in vielen Bereichen eine florierende Industrie bzw. ein prosperierender Markt ist. Auch der Amateursport ist eine politische Veranstaltung. Deswegen tue ich mir auch ein wenig schwer, »Ruhm und Ruin« zu einem Fußball-Roman zu reduzieren. Pathetisch gesagt: Es geht um unser Leben. Im Jetzt und Hier.

Wenn ich aufmerksam gelesen habe, wird nirgends die Stadt oder der Name des Vereins erwähnt. Es heißt lediglich, dass dieser in irgendeiner Großstadt beheimatet ist. Weshalb tappt man da im Dunklen? Hattest du eine Vorlage im Kopf, einen Verein der ähnlich ist? Ich habe stets auf Türkiyemspor Berlin getippt – die Chroniken der beiden Clubs sind ähnlich. Und auch in der Danksagung erwähnst du Türkiyemspor, was meinen Verdacht bestätigen könnte …

Treffer, aber aus abseitsverdächtiger Position. Ich wollte nicht einen Roman über Türkiyemspor schreiben, auch wenn dieser Verein in vielerlei Hinsicht ein Vorbild und Ausgangspunkt ist. Aber: Mir geht es um eine universelle Geschichte.

»Ruhm und Ruin« basiert auf das Theaterstück »Liga der Verdammten«, das du mit Regisseur Neco Celik realisiert hast. Woher kam die Idee dieses Sujet zu einem Roman zu formen?

Ich erhielt von der damaligen Intendantin, Shermin Langhoff, eine Anfrage. Sie arbeitete an einem Antrag für ein Rechercheprojekt. Wir sind befreundet. Sie wusste, dass ich für Fußball brenne. Sie wollte mich für dieses Projekt als Autor gewinnen. Das ist ihr gelungen.

Du warst damals mit unter anderem Feridun Zaimoğlu ein Teil des Netzwerks ›Kanak Attak‹, das sich gegen den Zwang zur Integration eingesetzt hat. Die Personen in deinem Roman wissen selbst nicht, ob sie sich integrieren – je nachdem wie man Integration definiert – können, wollen oder sollen. Sie suchen weiter nach ihrer Identität und werden sie wohl nicht finden. Im Grunde ist das doch ein gefundenes Fressen für Gruppierungen wie Pegida, Parteien wie NPD, AfD, Gestalten wie Akif Pirinçci und Menschen, die sich rechtspolitisch orientieren, oder nicht?

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Wieso sollte das so sein? Erstens habe ich literarische Figuren geschaffen. »Ruhm und Ruin« handelt nicht von realen Personen. Das nur am Rande. Meine eigentliche Antwort lautet: Pegida bis Pirinçci interessieren sich nicht für Migranten. Schon gar nicht dafür, wie sie in diesem Land leben. Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, aber diese Personen, Parteien und Bewegungen sind menschenverachtend.

Abschließend noch etwas Politik … Welche politische Einstellung verfolgst du? Was hältst du von der Flüchtlingspolitik Deutschlands?

Nächste Frage.

Wie bewertest du, der kurdische Wurzeln hat, den Anschlag am 10. Oktober 2015 auf die Friedensdemonstration in Ankara? Welche Rolle nimmt Erdogan in diesem Gefüge ein?

Der Anschlag von Ankara hat mir eine tiefe Wunde zugefügt. Die Narbe wird ewig bleiben. Und Erdogans Rolle darin will und kann ich nicht in wenigen Sätzen umschreiben. An anderer Stelle habe ich dazu geschrieben.


→ Buchinformationen: Ayata, Imran (Oktober 2015): Ruhm und Ruin. Roman in elf Geschichten. Verbrecher Verlag. 200 Seiten. ISBN: 9783957321251

→ Alle Fotos im Interview stammen von: Harry Weber

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